Abb.: Ausstellungsansicht Viertelfestival 2017
Öffnungszeit – Gefängnis wird Kulturraum
Galerie AugenBlick, Kirchberg am Wagram.
In the Morning Glad I See.
Ein kurzer Text, kein Konzepttext, keine Erklärung, einige Gedanken zum Geleit.
Während der letzten Monate hatte ich Gelegenheit mich mit dem auseinanderzusetzen, was die Institution Gefängnis für eine Gesellschaft bedeutet. Dabei hatte ich weiters die Möglichkeit an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen, die sich mit der Geschichte und den verschiedenen Aspekten betreffend des ehemaligen Gefängnisses und der späteren Jugenderziehungsanstalt Kirchberg am Wagram auseinandersetzten. Viel wurde gesagt zum Unrecht, das hier erlitten wurde. Im Allgemeinen war dies das zentrale Thema der Auseinandersetzung mit diesem Ort.
Ich kann das dringende Bedürfnis nachvollziehen, die persönliche Empörung und Wut zu äußern, die die Kenntnis über das Geschehene unweigerlich hervorbringen musste. Ohne die individuellen Schicksale beurteilen oder im geringsten verharmlosen zu wollen, von einer Jugenderziehungsanstalt die 1945, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, im immer noch von heimlichen und offen bekennenden Nationalsozialisten durchsetzten Nachkriegsösterreich, installiert und in den frühen 1970er-Jahren, in einem Österreich, das immer noch ein erzkatholisches, autoritätstreues, konservatives Land von Kleingeistern war, geschlossen wurde, erwarte ich mir nicht weniger als das Schrecklichste. Mich allerdings, führt diese Empörung und diese Wut in ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und daher habe ich mich entschlossen, mich in anderer Form, als empört oder wütend zu äußern. Obschon ich der festen Überzeugung bin, dass die Kenntnis der Geschehnisse der Vergangenheit wichtig und unerlässlich zum Verständnis der Gegenwart bleibt, gilt meine Aufmerksamkeit und meine Energie der Auseinandersetzung mit der Gegenwart.
Ich denke also während der letzten Monate über das Gefängnis und seinen Platz in der Gesellschaft nach. Über Bestrafung, über Rehabilitation. Das Innen und das Außen, das sich so häufig durch eine dicke Mauer konstituiert. Die Zeit die man verbringt, und wie sie von gänzlich unterschiedlicher Qualität zu sein scheint, für diejenigen die sie im Inneren und diejenigen die sie draußen verbringen. Die Gefängnismauer als Scheide dieses Drinnen und Draußen. Sie scheidet diejenigen, die gegen die Regeln der Gesellschaft verstoßen ab, von denen die weiter teilhaben dürfen. So effektiv tut sie dies, dass diejenigen draußen, von der Existenz derjenigen drinnen nichts mehr wissen. Die Gemeinschaft sind diejenigen, die sich so verhalten, dass sie Teil der Gemeinschaft sein können. Das Vergehen ist in der Gesellschaft nicht vorgesehen, daher kennt die Gesellschaft keine Antwort auf die Überschreitung die ihren eigenen Regel entspräche (entspricht). Die moderne Gesellschaft antwortet auf dieses Paradox mit Gewaltenteilung, sie ernennt Organe, die dürfen, was man nicht darf. Es ist ein weiter Weg gewesen, vom Aug um Aug, über die hochnotpeinliche Befragung, die Tortur, hin zum Gefängnis. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Ein Ende darf es auch nie geben. Der Umgang der Gesellschaft mit der Überschreitung muss immer Teil der Verhandlung bleiben.
So bleibt das Gefängnis die momentane letzte Sanktion für die Verletzung der Regeln einer Gesellschaft durch das Individuum. Dass die Bestrafung selbst in letzter Konsequenz eine Verletzung dieser Regeln ist, macht es so schwierig sich damit abzufinden. Um den Titel eines Artikels aufzugreifen, der zum Projekt Öffnungszeit erschienen ist, meine Meinung ist, ja, Strafe muss sein. Aber auch Rehabilitation muss möglich sein. Ist Rehabilitation nicht möglich, gerät Strafe wieder zu einem archaischen Aug um Aug in etwas abstrahierter Form. Ohne Rehabilitation ist Verantwortung nicht möglich, weil sie in letzter Konsequenz sinnlos wird.
“In the morning glad I see” ist die vorletzte Zeile eines Gedichts von William Blake mit dem Titel “A Poison Tree”. Es lässt sich auf verschiedene Art lesen, ist im Kern jedoch eine Auseinander- setzung darüber, wie das Individuum mit erlittenem Unrecht und Kränkung umzugehen vermag. Das Gedicht endet mit dem Tod des “Feindes“, es ist jedoch dem Leser überlassen, ob dies die Vernichtung des Gegners bedeutet oder das Erlöschen der Feindschaft. In „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ (Surveiller et punier. La naissance de la prison.) beschreibt Michel Foucault das Gefängnis in seiner ursprünglichen, zweifelsohne idealisierten Intentionen als asketischen Ort der Einkehr, Reflexion und Besserung. Selbstverständlich darf hier nicht vergessen werden, dass diese Idee in einer Zeit geboren ist, in der für das Gefängnis als Ablöse von noch viel grässlicheren Barbareien gekämpft wurde. Ich denke jedoch, das jener Gedanke der Läuterung noch in den Köpfen mancher herumspukt. Falls dieses Konzept überhaupt möglich ist, dann nur wenn das Individuum in seiner Zeitlichkeit auf sich zurückgeworfen ist. Ein flüchtiger Augenblick der Reflexion ist wertlos.
Hier will ich wieder den Bogen schließen zur Zeit, die vergeht. Drinnen wie Draußen. Arbeitet man mit dem Medium Film, hat man automatisch ein besonderes Verhältnis zur Zeitlichkeit. Man erkennt wie fragil dieses Konzept doch eigentlich ist. Richtet man die Kamera auf ein Objekt, so bemerkt man, dass Zeit nur dann ihre Wirkung ausbreitet, wenn Veränderung geschieht. Im Filmbild bedeutet Veränderung immer Bewegung. Keine Bewegung, keine Veränderung, keine wahrnehmbare Zeit. Was ich nun schreibe, schreibe ich mit Vorsicht und in vollem Bewusstsein über die offensichtlichen Unterschiede, die das Gefängnis und den Film trennen. Es sind selbstverständlich zwei gänzlich verschiedene Dinge. Aber sie teilen sich einen Aspekt. Die unendliche Fragilität der Zeit. Der Film “In the morning glad I see” dauert etwas über 45 Minuten und mir ist sehr bewusst, dass sich kein Besucher in einer Ausstellungssituation den Film bis zum Ende ansehen wird. Während Sie vielleicht aber 2 Minuten, oder 5 Minuten vor der Projektion verbringen, vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wiederkehren, um zu sehen, ob Veränderung stattgefunden hat, überlegen sie doch bitte, neben all den anderen Gedanken die diese Worte zum Geleit möglicherweise in Ihnen anregen, doch zwei Dinge: Wie viel Zeit verbringe ich in Betrachtung eines Kunstwerkes, eines Gemäldes, einer Skulptur, einer Multimedia Installation, wie viel Zeit will ich investieren, wenn mir die Zeit nicht durch eine explizite Dauer oder durch einen Kunstvermittler vorgegeben wird? Die zweite Frage: Wie lange sind 18 Monate in einem Gefängnis? (MN)
Der Text erschien als Begleittext zur In the Morning glad I see, bei der Ausstellung Öffnungszeit – Gefängnis wird Kulturraum Galerie AugenBlick, Kirchberg am Wagram. beim Viertelfestival 2017.